documenta 14: Overselling, Kreislaufwetter und Hotels am Stadtrand.

Letzte Woche waren wir auf der documenta in Kassel: Wir hatten vorher viel darüber gehört. Gutes, weniger Gutes und viel Schlechtes. Jetzt wollten wir uns selbst ein Bild machen. Dafür hatten wir zwei Tage reserviert und die hätten wir auch gebraucht. Wäre nicht von Anfang an der Wurm in unserem Kassel-Trip gewesen. Es fing damit an, dass wir gefühlt die schwülsten und tropischsten Tage der letzten Zeit erwischt hatten. Klassisches Kreislaufwetter.

documenta Start: Grimmwelt und Abendticket?

Hinzu kam, dass unser Start ziemlich verkorkst war: Wir hatten überlegt, mit der neuen Grimmwelt zu beginnen. Dort die Tickets zu kaufen und uns dann Richtung documentahalle auf den Weg zu machen. Natürlich wollten wir uns bei der Gelegenheit auch die Grimmwelt anschauen.

documenta 2017: Grimmwelt

Grimmwelt Kassel documenta 2017

Aber am Ticketschalter sind wir bereits gescheitert: klarer Fall von Overselling. Zu viele Möglichkeiten, zu wenig Verkauf: Sollten wir direkt das Zwei-Tage-Ticket für die documenta nehmen? Um 13.00 Uhr? Oder zuerst die Karte für die Grimmwelt und dann das documenta-Abendticket für den ersten Tag? Fragen über Fragen. Und letztendlich sind wir ohne Tickets abgezogen. Und leider auch ohne Lageplan. Die Lagepläne waren nämlich aus. Aber schon nachbestellt. Wahrscheinlich würde die Neue Galerie noch welche haben. Da sollten wir doch mal hin gehen. Dort könnten wir dann ja auch die Karten kaufen. Die Straße runter, über die Brücke und dann ständen wir auch schon davor.

Die Neue Galerie

Dumm gelaufen. Also wir. Wir sind dumm gelaufen, denn wir haben die Brücke verpasst. Und damit auch die Neue Galerie. Nach einigem hin und her sind wir schließlich an der Torwache vorbei gelaufen. Die beiden Gebäude hat Ibrahim Mahama in Jute-Sack-Laken gewickelt – von weitem recht eindrucksvoll. Aus der Nähe betrachtet geht dieser Effekt leider etwas verloren.

Die documenta und die Fußgängerzone

Dumm gelaufen, Teil 2: Diesmal haben wir uns im Einerlei der Kasseler Fussgängerzone verlaufen. Total angenervt von Orientierungslosigkeit und Hunger beschließen wir kurzerhand zum Hotel zu fahren, um uns und der documenta morgen eine zweite Chance zu geben. Neuer Tag, neues Glück quasi.

Wir hatten etwas ausserhalb von Kassel ein Hotel gebucht, das glücklicherweise bequeme Betten und – wie sich am nächsten Morgen herausstellen sollte – ein tolles Frühstücksbuffet hatte. Abends zappen wir durch die fast endlosen Fernseh-Kanäle und bleiben bei der BBC hängen: Anschlag in Barcelona, Deutsche unter den Toten. Warum melden sich unsere Freunde nicht, die gerade dort sind? Spät am Abend endlich die erlösende SMS. Puh … es hätte auch noch schlimmer kommen können.

Fußgängerzone

Parthenon der Bücher

Der nächste Morgen beginnt – park-taktisch praktisch – im Parkhaus unter dem Fridericianum. Wir wollen immer noch mit der documentahalle starten und kommen auf dem Weg dorthin am Parthenon der Bücher von Marta Minujín vorbei. Aus der Entfernung ein sehr eindrucksvoller Bau. Ein Nachbau des zentralen Tempels der Akropolis. Wir gehen näher ran: Bücher über Bücher. Alles Bücher, die irgendwann irgendwo auf der Welt einmal verboten waren. Alle fein säuberlich einzeln in transparenten Plastiktüten verpackt und an den Säulen aufgehängt. Und jede Säule dann noch mehrfach mit Schrumpffolie umwickelt. Muss das sein? Ich ärgere mich über den ganzen Plastikmüll und bekomme vor lauter Ärgern keinen Blick für das Kunstwerk. Und das ärgert mich noch viel mehr.

Ich versuche mich auf die Bücher zu konzentrieren und entdecke „Das Guantanamo-Tagebuch“ von Mohamedou Ould Slahi. Ups, da hängt es ja nochmal. Und nochmal. Auf einmal sehe ich dieses markante Cover überall. Gab es die Restauflage irgendwo günstig beim Verramscher? Oder wieso taucht das hier ständig auf? Jens hat ein anderes Buch entdeckt. Auch das taucht in regelmässigen (kurzen) Abständen immer wieder auf. Gefühlt besteht diese Parthenon auf einmal aus nur fünf Titeln. Das ist natürlich Quatsch. Aber irritierend bleibt es trotzdem. Kurzerhand gehen wir gegenüber in die documentahalle.

Die documentahalle

Inzwischen hatten wir es geschafft, Tickets zu kaufen. Und wir freuen uns auf die Ausstellung. Als erstes begegnen uns Masken aus der Serie „Undersea Kingdom“ von Beau Dick. Sehr farbenfroh, sehr expressiv. Das wäre auf jeden Fall etwas für die Mädels gewesen. Als zweites begegnet uns ein intensiver Pizza-Geruch. Damit hatte ich so nicht gerechnet. Absicht oder schlechte Entlüftung? Auf jeden Fall hab ich jetzt Appetit.

Wir gehen erstmal weiter in den nächsten Raum, in dem sich mehrere Arbeiten befinden. Unter anderem die Arbeiten von El Hadji Sy und Britta Marakatt-Labba. Ich setze mich auf die kleine Treppe und lasse die indigo-gefärbten Laken von Aboubakar Fofana auf mich wirken. Rechts neben mir sitzt eine Führung:
Führerin: „Nach allem, was wir heute schon gesehen haben? Wie geht es euch damit?“
Gemurmel aus der Gruppe, eine Frage wird gestellt.
Führerin: „Das ist schonmal die richtige Frage …“

Das wird mir jetzt zu pädagogisch. Ich schaue zu dem Lärm hinter mir: Dort streitet sich ein Besucher mit einer, nein zwei Aufpasserinnen. Die Tasche sei viel kleiner als der Fotokoffer des anderen Besuchers. Anzeige, Polizei, Beschneidung der Menschenrechte. Er werde auf keinen Fall seine Tasche abgeben. Nach einigem Spektakel kapitulieren die beiden und lassen ihm die Tasche. Das ist mir jetzt wiederum zu unpädagogisch …
Links neben mir einigen sich unterdessen zwei Freundinnen auf ein neues Motto: „Rupfendocumenta“. Nach einigem hin und her fasst die eine zusammen: „Das schlimme ist, dass man es nicht richtig versteht.“ Ich fürchte so ganz falsch liegt sie damit nicht.

BEINGSAVEISSCARY zur documenta am Fridericianum

Wir verlassen die documentahalle und stehen auf einmal im strömenden Regen. Ein guter Zeitpunkt, denke ich: Jetzt schauen wir uns das Fridericianum an! Diese Idee hatten auch andere und die Schlange am Eingang ist dementsprechend lang.

Fridericianum auf der documenta 14

documenta 14 – Warteschlange vor dem Fridericianum – beingsafeisscary

Also begnügen wir uns mit dem neuen Schriftzug des Fridericianum: „Being safe is scary“ von Banu Cennetoglu und gehen stattdessen erstmal nebenan ins Ottoneum. Die documenta-Arbeiten im Erdgeschoss sind sehenswert. Die anderen Etagen übrigens auch: Dort ist die „normale“ Ausstellung des Naturkundemuseums zu sehen. Inclusive einer seltenen Holzbibliothek und eines Einhorns.

Rauch steigt aus dem Zwehrenturm

Es regnet immer noch in Strömen. Die Schlange vor dem Fridericianum ist nicht kürzer geworden. Kein bißchen – das kann doch nicht sein. Wir sind ratlos. Letztendlich beschließen wir, die documenta documenta sein zu lassen und uns auf den Heimweg zu machen. In fünf Jahren kommen wir wieder – dann werden wir uns drei Tage Zeit nehmen.

documenta 14 – Garage

Kurz vor dem Eingang des Parkhauses sehen wir auf einmal einen qualmenden Turm. Brennt’s? Nein. Das ist „Expiration Movement“ von Daniel Knorr: weißer Rauch, der aus der Spitze des Zwehrenturm steigt. Ich find’s nicht schlecht: eine merkwürdige Mischung aus 9/11 und der letzten Papstwahl. In diesem Sinne: Tschö Kassel, bis 2022!

ps/ wer sich selbst eine Meinung bilden möchte, hat noch bis zum 17. September dazu Zeit!
Und wer jetzt noch weiterlesen möchte …

Skulptur Projekte 2017         Fotofestival La Gacilly

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